Spielplan
GEGENkino
RECLAIM THE FRAME: Machinimas von Frauen und Queers – eine filmische GEGENpraxis in virtuellen Welten
Im Spiel- wie im Filmraum blieben FLINTA*-Perspektiven lange marginalisiert, sie wurden objektifiziert, an den Rand gedrängt oder gar unsichtbar gemacht. Doch in den Zwischenwelten der Spiele-Engines flackern Geschichten auf, die erzählt werden wollen – von Spieler:innen, Kämpfer:innen, Träumer:innen. Die Karten sind gezeichnet, die Regeln gesetzt? Aber wer sagt, dass sie nicht neu geschrieben werden können? Machinima – der Cyborg unter den Filmgenres — ist, wenn man so will, ein demokratisches Instrument des Filmemachens. Entstanden aus der Gaming-Kultur, zeigt sich das Genre als experimentelle, autonome und widerspenstige Filmform, die traditionelle Produktionsweisen hinterfragt und aufbricht. Sie ist niedrigschwellig, oft DIY, hybrid und in sich kollaborativ. Und trotz dieses Potenzials bleiben die Spielwelten selbst – ihre Designs, Engines, Interfaces, Codes – meist hegemonial männlich, weiß, cis und heteronormativ geprägt.
An diesem Punkt setzt unsere Filmreihe RECLAIM THE FRAME an. Das Kurzfilmprogramm versammelt fünf Arbeiten von FLINTA*-Künstler:innen, die die Mittel der Spieleindustrie selbstermächtigend nutzen, um ihren Perspektiven, ihren Ideen, ihrer Wut eine Stimme zu geben. Sie entlarven Konsum als Kontrollform, schreiben mythische Gegenerzählungen und hinterfragen, wer über Räume, Körper und Zukunft verfügen darf. Die Filmemacher:innen wenden sich von den ihnen zugeschriebenen Rollen ab und verschieben die Machtachsen: Von der Konsument:in zur Gestalter:in, vom Objekt zum Subjekt, vom Opfer zur Held:in.
Unsere letztjährige Filmreihe OUR SCREENS bot einen Überblick über das Spektrum an Filmen, die innerhalb von und inspiriert durch Spieleengines entstehen und zeigte die vielfältigen, kreativen Potenziale dieser jungen Schnittstelle zwischen Spielkultur und Filmschaffen. Nun rücken wir jene ins Zentrum, die in diesen Welten (so) nicht vorgesehen waren: Sichtbar durchqueren FLINTA*-Künstler:innen die digitalen Welten, hinterlassen Risse, Störungen – und säen neue Wege.
DON’T LEAVE ME!
Angela Washkos DON’T LEAVE ME! ist ein dichtes Mash-up aus Szenen verschiedener Computerspiele wie Final Fantasy, Yalkyrie Profile und Metal Gear – Rollenspiele, die Washko in ihrer Kindheit regelmäßig spielte. Die Collage thematisiert die stereotype Rolle weiblich gelesener Avatare, die oft als hilflose Figuren dargestellt werden und nur durch den männlichen Helden gerettet werden können. DON’T LEAVE ME! überspitzt diese Zuschreibung und ist ein Versuch, die Frauenfiguren als komplexe Subjekte sichtbar werden zu lassen.
USA 2011 von Angela Washko, 6 min, Originalfassung
THIS BITCH AIN’T FREE
Georgie Roxby Smith schickt ihren Avatar durch die virtuelle, menschenleere Konsumwelt des einst sehr populären Onlinespiels Second Life, das über eine ganz eigene Wirtschaft verfügt und in dem sich Spieler:innen ihre virtuellen Identitäten aufbauen können. Der Avatar rennt, fällt, gleitet und glitched durch die digitale Geisterstadt, getrieben vom Wunsch nach einem besseren Leben. Im Rausch und Karneval des leeren Kapitalismus offenbaren sich patriarchale Zwänge und Fragen nach sexueller Selbstbestimmung. Eine Endlosschleife des Begehrens.
Australien 2019 von Georgie Roxby Smith, 5 min, Originalfassung
A BRONZE ANWIL FALLS TO EARTH
In A BRONZE ANWIL FALLS TO EARTH transformiert Carson Lynn die düstere und gewaltvolle Welt des Rollenspiels Bloodborne in einen Schauplatz queeren Leidens, Trotzes und Widerstands gegen unterdrückerische Kräfte. Der Film entsteht direkt im Spiel und während des Spielens: in der Logik eines Let’s plays folgen wir in der Kulisse der gotisch anmutenden, verfluchten Stadt Yharnam einer einsamen Krieger:in, die umrahmt von griechischer Mythologie dort den stellvertretenden Kampf der LGBTQIA+-Community ausficht.
USA 2023 von Carson Lynn, 06 min, Originalfassung
THREE MANIPULATIONS
Wer spricht hier mit wem? Die Gamer:in mit der Spiele-Engine, mit einer Chatbekanntschaft oder am Ende mit sich selbst? In THREE MANIPULATIONS erleben wir, wie zwei anonyme Entitäten in einem entrückten, digitalen Vorspiel versuchen, miteinander zu interagieren und Nähe zu provozieren. Kara Güts verschlüsselte Videoperformance offenbart die Kluft zwischen Selbst und Anderen, Original und Kopie, Realität und Fantasie.
USA 2020 von Kara Güt, 9 min, Originalfassung
THE MARTIAN WORD FOR WORLD IS MOTHER
Alice Bucknell entwirft in THE MARTIAN WORD FOR WORLD IS MOTHER drei Zukunftsszenarien für den Mars und lotet darin politische, ökologische, wirtschaftliche, metaphysische und sprachliche Aspekte aus. Dem Projekt liegt eine kollaborative, forschungsbasierte Praxis zugrunde: Bucknell arbeitete mit Anthropolog:innen, Astronom:innen, Weltraumanwält:innen und Linguist:innen und ließ sich von Donna Haraways feministischen Theorien und der Science Fiction von Ursula K. Le Guin inspirieren. Wir sehen präzises 3D-World-Building und den Einsatz künstlicher Intelligenz — das Drehbuch entstand in Co-Autor:innenschaft mit der Sprach-KI GPT-3. Eine filmische Denklandschaft, in der koloniale, kapitalistische und patriarchale Muster hinterfragt werden und der Mars nicht als zu eroberndes Territorium, sondern als lebendiges Gegenüber verstanden wird.
Großbritannien 2022 von Alice Bucknell, 40 min, Originalfassung